Pilzanbau– Von tastenden Versuchen zur gezielten Kultur
Reisewege waren mühsam, Gedrucktes teuer. Dennoch verbreitete sich die Erfindung eines namentlich nicht bekannten Pariser Gärtners in Fachkreisen erstaunlich schnell. Mitte des 17. Jahrhunderts hatte er entdeckt, dass sich Pilze kultivieren lassen. Er grub Champignons samt Erde aus und pflanzte sie in ein mit nährstoffreichen Melonenresten bedecktes Beet.
Und siehe da: Sie sprossen. Weil die Pilze nicht nur am Hofe Ludwigs des XIV sehr gut bezahlt wurden, sprach sich seine Methode bald herum und verdrängte langsam die alte Vorstellung, nach der Miasmen aus der Luft die Pilze hervorrufen. Rasch wurde das Verfahren weiterentwickelt. Und Johann Sigismund Elßholtz zitiert 1684 in seinem Buch „Vom Garten-Baw“ bereits „Des Französischen Gärtners Unterricht“, in dem das Vorgehen recht präzise beschrieben wird: „Man bereite ein Mistbett von Maulthier oder Eselsmist und schüttet darüber vier Finger hoch Traß- oder Mistbett-Erde… Nachdem nun die Hitze des Bettes die ersten drey Tage vergangen, so werffet zu desto schnellern Wachstum drauff alle Abschnitte der Schwämme, die in der Küche zugerichtet werden, deßgleichen die untüchtige oder von Würmern angefressene; auch das Wasser darin die Schwämme abgewaschen oder gekochet worden, giesset man auff das Bett; so wird dasselbe in kurzer Zeit anfangen, Schwämme zu tragen. Solch Schwammbett könnet ihr … nachmahls zwey oder drey Jahre nützen und auch von demselben andere (Beete) mehr anrichten“.
Natürlich hatte das Kochwasser keinerlei Wirkung, aber das Spülwasser und die Reste, die beim Pilze-Putzen übrigblieben, werden so viele Sporen geliefert haben, dass in vielen Fällen tatsächlich Pilze sprießen konnten. Welche Rolle diese Sporen bei der Vermehrung von Pilzen spielen, war lange Zeit nicht bekannt. Auch wenn der Italiener Marcello Malpighi schon Ende des 17. Jahrhunderts mit seinem Mikroskop Pilzsporen entdeckte und zeichnete. Aber erst im Laufe des 18. Jahrhunderts fügten die Forschungen verschiedener Pilz-Wissenschaftler die Puzzle-Teile der Pilzvermehrung durch Sporen zusammen.
Erstaunlich in „Des französischen Gärtners Unterricht“ ist die Zweilagigkeit der Kulturbeete, die heute noch für alle Pilzanbauer selbstverständlich ist: Unten die dicke Schicht sehr nährstoffreichen Substrats – heute aus gut fermentiertem Pferde- und Hühnermist vermischt mit Stroh – und darauf die Deckerde, die das Substrat warm und feucht und die Pilze sauber hält. Ende des 19. Jahrhunderts heißt es daher auch in der Allgemeinen Deutschen Gärtnerzeitschrift: “Die Anlage der Beete muss aus halbverrottetem Pferdedung in einer Lage von 30 bis 40 cm Stärke geschehen. Der Dung darf, wie schon bemerkt, nicht frisch sein, sondern muss fünf bis sechs Wochen vor dem Gebrauch…lagern. Nach der Anlage der Beete fügt man in einer Tiefe von 5 cm die Brut ein und bedeckt daraufhin mit feiner, gewöhnlicher Gartenerde in einer Stärke von 3 bis 5 cm“.
Aber so sorgfältig man auch arbeitete, sicher, dass so ergiebige Pilzkulturen entstehen, war man damals keineswegs. Erst der Botaniker und Mykologe Julius Oskar Brefeld brachte den Durchbruch. Er beobachtete Ende des 19. Jahrhunderts das Wachstum der Pilze von der keimenden Spore an. Darauf aufbauend entwickelte er ein Einzell-Kulturverfahren und isolierte auf sterilen Nährmedien ausgekeimte Sporen. Diese Reinkulturen waren bald das Maß aller Dinge bei der professionellen Pilzkultur. Und Brefeld formulierte seinen Lehrsatz, dass beim Arbeiten ohne Reinkulturen „nur Unsinn und Penicillium glaucum (Grauschimmel)“ entsteht. Heute wachsen die Pilz-Reinkulturen in Weizenkörnern als Pilzbrut heran. Mit ihnen wird sauberes Substrat beimpft und mit sauberer Deckerde abgedeckt – feine, gewöhnliche Gartenerde reicht nicht. Steriles Arbeiten ist dabei unabdingbar, denn Pilze sind ein sensibles Gut. Daher ist Schutzkleidung für alle, die mit den Pilzen hantieren, Pflicht. Denn ohne diese Sorgfalt sähe das ganzjährige Pilzangebot in Geschäften und Supermärkten mager aus.